Heute war ich wieder bei den Nagelfrauen. Komplettprogramm: Wachsen, Maniküre und Pediküre für ca. 18 EUR. Juhu. Da freu ich mich ja immer mächtig drauf. Ich mach immer vorher telefonisch einen Termin aus, damit auch gewährleistet ist, dass meine Wunsch"feilerinnen" ans Werk kommen. Eigentlich wollte ich um 16:30 Uhr hingehen, aber Suzana, geht heute früher, hieß es, und da habe ich natürlich umdisponiert, damit ich niemand neues bzw. fremdes an meine Füßchen lassen muss.
Dass ich aber jemandem damit SOOO eine Freude mache, hätte ich nicht gedacht. Das sei ja "bem bacana" = sehr cool von mir gewesen, dass ich mich nach ihr richten würde, sie wisse so eine treue Kundin zu schätzen, hat mir Suzana dann später gestanden. Es seien nicht viele Kunden so verständnisvoll, geschweige denn die Kolleginnen. (Schlechtes Gewissen, die Erste, ich habe ja mittwochs eh frei, ist also keine Heldentat von mir ob ich eine halbe Stunde früher oder später dort aufkreuze). Als ich 25 Minuten früher vom Wachsen runter kam, hat sie schon auf mich gewartet (eigentlich krass, denn theoretisch hätte sie noch weitere 25 Minuten gewartet, ohne Kundschaft, bis ich eben fertig bin). Als ich sie dann gefragt habe, wann sie eigentlich mal Urlaub macht, ist sie ins Erzählen gekommen. Um ehrlich zu sein, habe ich aus eigenem Interesse wissen wollen, wann sie mal nicht da ist, damit ich mich darauf einstellen kann zu jemand anderem zu gehen. Und nachdem die Brasilianer ihren 30-tägigen (sind übrigens keine 30 Werktage, sondern zusammenhängende Tage) am Stück nehmen müssen, würde sie ja dann länger fehlen.
Es sei schon 2 Jahre her, dass sie das letzte Mal Urlaub genommen habe. Und damals auch nur wegen ihrer Mutter, die im Norden wohnt und die sie besuchen musste. Das sei eine kostspielige Reise, müsse ich wissen. (Wenn ich daran denke, dass ich gerade mit meinen Eltern deren Besuch hier plane und Suzana erzählt habe, dass in Kürze die nächste Freundin aus Deutschland zu Besuch kommt, habe ich das nächste ganz schlechte Gewissen bekommen.) Sie denke schon manchmal daran zurück, wie schön es war Urlaub zu haben, aber nachdem sie ja auf Kommission arbeite, können sie es sich nicht leisten NICHT zu arbeiten, auch wenn sie mal krank sei, verdiene sie ja nichts. Sie hat keinen Arbeitsvertrag, sondern verdient an jedem Kunden die Hälfte des Umsatzes (schon wieder schlechtes Gewissen: die 17 Reais, die sie immer an mir verdient geteilt durch 2 = 8,50 Reais, sind weniger als 4 EUR). Lasst mich mal kurz überschlagen: 10 Stunden hat der Laden täglich offen, dann hat sie vielleicht 12-15 Kunden am Tag, wenn es gut läuft. Pediküre kostet 17 Reais, Maniküre nur 13, verdient sie also im Schnitt pro Kunden 7,50 Reais x 12 (erscheint mir realistisch) wären das 90 Reais am Tag, sind 450 in der Woche und 1800 im Monat, weniger als 800 EUR (und das, wie gesagt, auch nur, wenn es gut läuft)- die Anfahrt mit dem Zug kostet pro Tag 6 Reais, sind 30 in der Woche, sind 120 im Monat. Keine Ahnung, ob sie darauf auch noch Steuern zahlten muss/ zahlt. Aber für eine 4-köpfige Familie echt wenig ;-(. Ihr Mann ist nämlich vor kurzem arbeitslos geworden und so sorgt sie für die ganze Familie. Heute müsse sie ausnahmsweise früher gehen, weil ihre 10-jährige Tochter heute nicht den 7-jährigen Sohn von der Schule abholen kann, weil sie selbst in einem Schultheater mitspielt. Sie als Mutter würde sich zu gerne das Theaterstück der Tochter anschauen, aber das sei zeitlich nicht drin, weil sie ja erst mit Zug und Metro und Bus in die eine Richtung fahren muss, um den Sohn zu holen und die Schule der Tochter etwas entfernt in die andere Richtung liegt. Außerdem sei das Stück ab 10 Jahre zensiert und der Kleine dürfe womöglich dann gar nicht mit rein. Um das zu riskieren, sei der Weg einfach zu lang.
Sie hat sich echt regelrecht verkünstelt an mir heute, geschnitten, gecremt, poliert und korrigiert (ja, man kann sich zum Fußnägelmachen echt Zeit nehmen und Herzblut reinstecken oder eben nicht). Suzana ist danach ihren Sohn abholen gegangen und ich schwer am Nachdenken wieder zurück in meine mehrere Monatsgehälter von Suzana teure Wohnung im Hochsicherheitstrakt.
- Das wäre jetzt eigentlich das dramatische Ende meines Posts, aber gestern haben wir an der FAAP gelernt, dass Brasilien ein sehr, sehr reiches Land ist, dass sehr wohl Geld hätte ein ordentliches Bildungssystem aufzubauen, dessen Politikern es aber eben nichts ausmacht, die Armut in ihrem Land zu sehen, solange es ihnen selber gut geht. Ich weiß, ehrlich gesagt nicht, was ich denken soll!?